Freitag, 3. Oktober 2008

Religiöser Buchtipp für Oktober 2008

„O Gott! Warum und wie wir beten oder auch nicht.“
Religiöser Buchtipp für Oktober 2008

Mit einem Cover in kräftigem Rot wirbt Johann Hinrich Claussens Einführung in das Beten um die Aufmerksamkeit der Leser/innen – vorzugsweise ältere Jugendliche und junge Erwachsene. Wer darin blättert, wird nicht nur vom peppigen Layout angesprochen, sondern auch von den auf den ersten Blick etwas abwegig anmutenden Kapitelüberschriften: „Darf man andere beim Beten belauschen?“ - „Ist Beten gefährlich?“ – „Darf man gegen Gott beten?“ – „Wie kann man Gott um etwas bitten, wenn er doch alles weiß und vermag?“
Fragen rund ums Beten
Doch spricht Claussen mit diesen (und vielen anderen) Fragen Themen an, die sich einem in den Weg stellen können, wenn man beten möchte. Im Kapitel „Darf man andere beim Beten belauschen?“ geht es einerseits um die Intimität des Gebets, die Lauschen verbietet. Andererseits geht es um das Problem, wie man ohne Vorbilder das persönliche Beten erlernen kann. Der Abschnitt „Ist Beten gefährlich?“ erinnert daran, dass Beten den Menschen auch einschneidend verändern kann. Und die Frage, ob man gegen Gott beten dürfe, zielt darauf, dass die Beter/innen Gott im Gebet anklagen, anschreien, ihm ihr ganzes Unverständnis über den Lauf der Welt und ihr persönliches Schicksal vorhalten dürfen – wie einst Hiob.
Wertschätzung für andere Konfessionen
Claussen, Hauptpastor an der evangelischen St. Nikolai-Kirche in Hamburg, beschreibt das Beten zwar aus protestantischer Perspektive, aber mit großer Offenheit und Wertschätzung für andere Konfessionen und Religionen. Das zeigt sich z.B. an seiner Einführung in das Rosenkranzgebet oder an seinen Gedanken zu der Frage, warum manche Christen zu Heiligen beten. In kurzen, meist zweiseitigen Texten antwortet er auf verschiedenste Fragen zum Beten. Seine Antworten sind offen genug, dass die Leser/innen sich selbst einen Reim darauf machen können.
Verführung zum Beten
Zwischen den Erläuterungen zu Fragen des Betens verführen zahlreiche Gebetstexte geradezu zum Beten, kurze und längere, alte und moderne, Psalmen, Gedichte und Aphorismen. Sie stammen aus allen Epochen der Christentumsgeschichte, Augustinus ist ebenso vertreten wie Dietrich Bonhoeffer und Hans Magnus Enzensberger. Bei den Psalmen hat Claussen selbst zur Feder gegriffen und aus verschiedenen alttestamentlichen Psalmen Texte für Alltagssituationen komponiert: Angst, Liebe, Glück, (Gottes-) Sehnsucht …
Anschauliche Sprache
Das Buch ist nicht linear aufgebaut, man kann es von vorne nach hinten lesen oder sich von den Leitfragen der Kapitel zum Vor- und Zurückblättern anregen lassen. Bei allen Texten hat Claussen der Versuchung widerstanden, sich durch einen vermeintlich jugendlichen Sprachstil der Zielgruppe anzubiedern. Auch ohne Jugendjargon sind seine Texte eingängig, klar und anschaulich.
Warum beten?
Auch für die entscheidende Frage, warum Beten überhaupt notwendig ist, bietet er einen nachvollziehbaren Zugang. Beim Beten komme es gerade nicht darauf an, dass sich die Bitten des Beters erfüllen, entscheidend sei vielmehr, mit Gott in Kontakt zu treten, sich ihm ganz zu überlassen. Der Sinn des christlichen Betens liege darin, „dass unser Wille mit dem Willen Gottes eins wird, dass wir ihm gegenüber nicht fremde Bittsteller bleiben, die um Almosen betteln, sondern seine Freunde werden, die mit ihm einverstanden sind“ (S. 157). Wie man dahin kommt, zeigt Claussens „Expedition in die Welt des Gebets“.
Um sich dieser „Expedition“ anzuschließen, brauchen die Leser/innen keine Vorkenntnisse. Es kommt auch nicht darauf an, ob sie im katholischen oder evangelischen Glauben zu Hause sind oder ob ihnen das eher fremd ist. Viel wichtiger sind Neugierde, Offenheit und die Hoffnung, dass das Leben mehr zu bieten hat, als man mit Händen greifen und Augen sehen kann.
Johann Hinrich Claussen: O Gott! Warum und wie wir beten oder auch nicht. (Reihe Hanser) München: Deutscher Taschenbuchverlag 2008. - 239 S., 8,95 €